Markus Gull

Wehe, wenn sich Werbung als Brandstory verkleidet.

Die Kulisse einer Arztordination in einer deutschen Fernsehserie. Mittendrin sitzt ein als Arzt verkleideter bezahlter Grimassenschneider, macht so wie er denkt, dass ein Arzt macht und sagt seine Texte auf, die im Prinzip nichts anderes tun als Informationen weiter geben. Der Typ ist als einziger Mensch auf Erden davon überzeugt, das wäre Schauspielerei und als Täter und Opfer gleichermaßen hilflos in seinem aus Missverständnissen geknüpften Schicksalsnetz verfangen.

Fernsehserien dieser Art sind durchaus erfolgreich, was ihre Langlebigkeit und ihre Zuseherzahlen betrifft. Nur: mit Film, Kunst und allem, was man darunter verstehen könnte, hat das so viel zu tun wie Jacques Tati mit einem Sumo-Ringer. So gut kann eine Story gar nicht sein (meistens ist sie ja sowieso nicht gut), dass man sich nicht genervt abwendet. Jemanden nachahmen und einen Character durch die Kunst des Schauspielens lebendig machen, das ist so verschieden wie Kotze und Pizza. Sieht auf den ersten Blick ähnlich aus, aber dann: Zapp!

Da fehlt es an allem hinten und vorne, vor allem fehlt’s an Wahrhaftigkeit. Und ohne Subtext geht’s auch nicht. Deshalb ziehen Produktionen in dieser beschriebenen Art am Seher vorbei wie ein unbeleuchtetes Schiff in der finsteren Nacht, wie es David Ogilvy einmal bezeichnet hat. Das Stichwort David Ogilvy bringt uns in die wunderbare Welt der Werbung und zu Storytelling, dem Allheilmittel, das sich seit einigen Jahren alle selbst verschreiben.

Während meines Militärdienstes beim Österreichischen Bundesheer hatte ich eine Menge Gelegenheiten, über Seltsamkeiten zu staunen. Eine der harmloseren war das Allheilmittel für die unterschiedlichsten körperlichen Beschwerden: Vaseline! Erstens war diese Crème de la Crème bei uns uniformierten Scherzteufeln im Teenageralter nicht in erster Linie mit Medizinischem konnotiert und provozierte naturgemäß Irritationen und derbe Witze, wenn die gleichfalls uniformierten Ärzte Vaseline als Medikament verschrieben. Nach dem therapeutischen Prinzip „Nützt’s nicht, so schad’s nicht” gab’s Vaseline nämlich gegen Blasen an den Füßen und auch gegen sonst alles, wogegen Eincremen mit Phantasie und gutem Willen theoretisch helfen konnte. Was die gute Salbe allerdings praktisch nie tat. Das führte bei uns wackeren Vaterlandsverteidigern wenigstens zur Erkenntnis, dass im Notfall wenigstens die Zeit – wenn auch nicht alle – so doch die meisten Wunden heilt.

Storytelling – das perfekte Gleitmittel

Die Vaseline der Marketingkommunikation unserer Zeit scheint mir Storytelling zu sein. Ein Gleitmittel ins Herz der Auftraggeber und auch in so manches andere Zielgebiet. Ein Allheilmittel, mit dem alles und jeder eingecremt wird, ob’s nützt oder nicht. Wir wissen zwar nicht, was wir tun sollen, aber wir sagen jetzt mal „Storytelling”, hängen noch ein gepflegtes „Narrativ” in unser Therapiegespräch und eventuell auch ein bedeutungsvolles „Framing”, wenn’s passt, bzw. auch wenn’s nicht passt. Aber Hauptsache Storytelling. Wir müssen als Marke unsere Geschichte erzählen! Überhaupt, wo Snapchat, Instagram und Facebook ein Story-Feature anbieten.

Storytelling – die perfekte Methode 

Storytelling ist tatsächlich eine grandiose Methode, seit Menschengedenken. Geschichten und Geschichtenerzählen gehört zu unserem Menschsein und ist tief eingraviert in die DNA unserer Spezies. In der Evolution habe sich der Homo Sapiens gegen den Neandertaler nur deshalb durchgesetzt, sagt man, weil er als Homo Narrans die Fähigkeit entwickelte, Geschichten zu erzählen und damit imstande war, sich, sein Sozialgefüge, die Ernährung und seine Sicherheit und Verteidigung wirkungsvoll zu organisieren. Ich war damals nicht dabei, aber es leuchtet mir ein.

„Whoever tells the best story wins”, heißt es. Die Entwicklung des Homo Sapiens ist ein stichhaltiger Beweis dafür, denke ich, und die atemberaubende (Ver-)Führungskraft von Story-mächtigen Politikern, Religionsgründern und Business-Heroen ebenfalls. Nicht umsonst ist man sich weltweit einig, dass Storytelling eine der wichtigsten Business-Skills unserer Zeit ist. Jeder kann Story, nur die wenigsten wissen es. Aber nur ganz ganz wenige können damit wirklich gekonnt umgehen, obwohl sich viele dazu berufen fühlen. Doch wie so oft fühlen sich zwar viele berufen, doch nur wenige sind auserwählt.

Storytelling muss tief greifen und weit gehen.

YouTube quillt über von hervorragend gemachten Werbefilmen – berührenden, lustigen, spannenden, hervorragend erzählten Geschichten. Viele von ihnen sprechen echte relevante Werte an, basieren auf exzellenten Insights, gut gebauten Brandvisions und -missions, Benefit Ladders und -Triangles. An entsprechenden Tools herrscht kein Mangel in den Marketingschultaschen dieser Welt. Das Teuflische an Storytelling, Brandmissions und der heutigen Zeit ist allerdings, dass es einfach nicht mehr genügt, sich was Gutes auszudenken, dann wie früher in Werbekampagnen zu verpacken und halt neuerdings auch am Internet zu posten. Entweder es interessiert dann keinen, oder es geht nach hinten los, oder beides. Dafür bekommt man 2017 leider keinen Schlumpf ins Heft gestempelt.

Dasselbe passiert, wenn gute Brandstorys nicht lebendig werden, sondern in Werbespots absaufen und das Publikum, jede Ambition und allen Goodwill mit sich in die Tiefe ziehen. Das Publikum verhungert mit der Brandstory am reich gedeckten Tisch. Man freut sich zwar kurz am schönen Film, erkennt allerdings jedenfalls unterbewusst, die Absicht und ist verstimmt.

Brandstorytelling hat enormen nachhaltigen Nährwert für eine Marke. Aber sie muss in die Tiefe der Werte gehen und weit in die Fülle der Kommunikationsmöglichkeiten, das Publikum motivieren, inspirieren und aktivieren und nicht nur frontal informieren. Sonst bleibt eine Brandstory auf dem Niveau eines Kaugummis. Sieht aus wie Essen, liefert aber Null Nährwert, dafür eine Menge leere Kalorien an die Hüften.

So vieles wäre möglich, wenn …

Einige aktuelle Kampagnen sind dafür gute schlechte Beispiele. Zuerst einmal #glaubandich von der österreichischen Erste Bank. „Die Bank des Vertrauens” klingt ja heutzutage eher nach Kalauer, und wenn ein Bankberater seine Kundin fragt: „Welche Sicherheiten können Sie bieten?”, vermutet sie sich in einem Sketch von Didi Hallervorden. Umso wohltuender, wenn die Erste Bank offensiv an Menschen glaubt, die an sich glauben. In dieser Idee steckt eine richtig starke Story-Maschine, zumal für eine Bank, die sich sowieso für jüngere, urbane Menschen zuständig fühlt und Wirtschafts-affin ist. Mit ein bisschen Phantasie springt einen das Movement förmlich an, das sich da vom Zaun brechen lässt: Unternehmerische Menschen, denen die Bank dabei hilft, wirklich etwas auf die Beine zu stellen. Noch dazu in unserer Zeit, in diesem Land, wo einem auf Schritt und Tritt so viele Prügel vor die Füße geworfen werden, dass sich der Holzweg schon wie der Heimweg anfühlt. Endlich was Positives! Endlich Frischluft! Und auch noch ausgerechnet von einer Bank! – Geht schon los!

Leider spielt’s das nicht so, sondern Anna, 17, aus Wiener Neustadt muss dran glauben. In einem Werbefilm sehen wir sie against all odds ihre Eishockeykarriere durchzusetzen. Sie selbst kommt nicht zu Wort, aber ihr Trainer zählt alles auf, was gegen sie spricht. Anna schafft’s trotzdem.

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Prinzipiell ein hübscher Film. Aber verdient Frauen-Empowerment im Jahr 2017 nicht ein anderes Bild als ein Eishockeymädchen? Und dieses Bild entstünde vielleicht – wenn schon nicht in der Werbeagentur, bei einer Creativesession mit zwei Flaschen Rotwein pro Person – bei einem Kaffee mit der Vorsitzenden der Erste Stiftung.

Und dass die Eishockeymädchen-Geschichte ein wenig weit weg ist von dem, was eine Bank damit zu tun hat? Na gut, sei’s drum. Dass aber die Bank sehr weit weg von dem ist, was Sache ist, das bringt eben leider keinen schlanken Fuß auf den Boden, denn die Hoffnung, dass es sich auf den üblichen Social Media-Tatorten richtig abspielt, die stirbt zuerst. Auf der Website erklären die Bankchefs in einem Video die Kampagne, dann kommen Infos über die Bank und dann eine – naturgemäß – dünn besiedelte Social Wall mit Postings, die großteils offensichtlich von der Bank in blanker Notwehr bespielt wird. Österreich, das Land der ungenützten Möglichkeiten.

Nun ist offenbar Annas kleiner Bruder dran, der sich dank #glaubandich vom Aussenseiter in einen König verwandelt.

Storytelling

 

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Und hinter dem Film bleibt nichts mehr über als ein leerer Magen, leere Blicke und eine Menge Fragezeichen. Es genügt nicht, die Menschen aufzufordern mit #glaubandich etwas Nettes zu posten. Das haben sie in den letzten Jahren schon bei vielen anderen und besseren Gelegenheiten nicht getan. Hier muss und kann ein echtes Movement angestoßen werden, jenseits von Werbung. Mit ihrer hochpotenten Story hätte die Erste die erste wirklich großartige Bankenkommunikation des 21. Jahrhunderts ausrollen und sich in die Herzen der Menschen schrauben können. Da gehört eine Marke nämlich hin: in die Herzen der Menschen!

Ähnliches erlebte Edeka kürzlich mit „Eatkarus”. Eine wirklich gute Idee, ein gut gemachter Spot. Aber dann wird’s knieweich.

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Wer sich nämlich den Schuh „Gesunde Ernährung” zumal für Kinder anzieht und provokant ein paar Dickerln um den Bodyshaming-Pool treibt, der tut gut daran eine kraftvolle, ernst gemeinte Initiative für bessere Ernährung dahinter zu stellen. Noch dazu, wenn man sich selbst „Wir lieben Lebensmittel“ und „Iss wie der, der du sein willst” aufs T-Shirt schreibt. Sonst setzt’s zu recht ein Rudel Online-Watschen.

Das Kleine Dreimaldrei.

Wenn du mit deiner Brandstory nicht auf halbem Weg liegenbleiben willst, dann schreib dir bitte „Das Kleine Dreimaldrei für Marken mit Storypower” auf einen Zettel und ziehe ihn immer wieder raus, wenn es um neue Ideen geht. Daran kannst du überprüfen, ob du richtig liegst.

  1. Dein Brand Purpose muss deinem Unternehmen ein authentisches Anliegen sein: Würdest Du dich auch dafür stark machen, ohne dass es deiner Marke unmittelbaren Werbe-Nutzen bringt?
  2. Ein Brand Purpose muss einen Beitrag zum Nutzen deines Publikums liefern.
  3. Dein Publikum kann und muss damit aktiviert werden und darf nicht passiver Beobachter bleiben. So wird es tragender Teil des Brand Purpose.

Wenn du dein Publikum mit Dingen inspirierst, die in seinem Leben Nutzen bringen, dann musst du es nicht verzweifelt verfolgen, sondern die Menschen werden zu dir kommen. Die Voraussetzung dafür ist, dass deine Marke die nächsten drei einfachen Prinzipien aktiviert:

  1. Welchen Kernwert spreche ich nachhaltig an, also: welche Sehnsucht der Menschen teile ich?
  2. Wodurch kann ich diese Sehnsucht gleichermaßen stillen und nähren?
  3. Was kann ich anregen, verteilen oder initiieren, damit es den Menschen so wichtig ist, dass sie es weiter verteilen, weil sie dadurch mehr über sich selbst erzählen als über mich?

Nach wie vor interessiert sich aber niemand für deine Geschichte, sondern nur und ausschließlich für seine eigene. Deshalb:

  1. Deine Story kann niemals von deiner Marke und muss immer von deinem Publikum und seinen Werten und Sehnsüchten handeln.
  2. Deine Marke ist nicht der Held, deine Marke muss ihre Benutzer zum Helden machen.
  3. Damit deine Marke Quality Time mit ihrem Publikum bekommt, muss sie relevant sein. Das bedeutet … (siehe 1).

Dafür braucht es als Grundvoraussetzung eine veränderte Haltung im Unternehmen selbst und nicht nur viele junge Leute mit Snapchat-Account in der Marketingabteilung. Das beginnt bei der Unternehmensführung und umfasst alle Abteilungen, besonders natürlich Marketing, Vertrieb, Service und zuallererst Human Resources – Stichwort Employer Branding.

Brandstorytelling ist eben mehr als verkleidete Werbung, sonst funktioniert’s nicht. Es geht um die geteilten Sehnsüchte und das Verweben der Werte von Marke und Publikum. Dann hält sich die Marke auch schon zurück, und aktiviert viel mehr jede Plattform als Bühne für die Menschen. Als Story verkleidete Werbung geht nach hinten los und wirkt bestenfalls nicht. Soll eine Brandstory erfolgreich sein, braucht sie erlebbare Wahrheit, jenseits der üblichen Werbeauftritte und -inhalte. Das erwarten die Menschen, sonst wenden sie sich ab, denn das Internet hat alles verändert.

Die Prinzipien für Story und damit für Brandstory sind sehr einfach und universell gültig. Die Umsetzung dieser Prinzipien ist verdammt schwierig, arbeitsreich und wird nicht von heute auf morgen Wirkung zeigen, wie es eine kurzfristige Preispromotion tut. Tatsächlich ist dieser Weg aber, davon bin ich fest überzeugt, der einzige, den Marken in unserer völlig veränderten Medien-Welt gehen können, wenn sie überleben wollen. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe viele Werber-Jahre am Buckel und auch einiges am Kerbholz.

Wenn du also nicht nur über den Preis reden, sondern respektvoll mit deinem Publikum ins Gespräch kommen willst, dann involviere die Menschen mit einer für euch beiden relevanten Story. Für alle, die sagen: „Bei meiner Marke geht das nicht!” erinnere ich an den Satz, den meine Großmutter, die alte Story Dudette schon in Kurrentschrift in die alte Eiche vor der Schule ritzte: „No Story. No Glory.”

 

Bildhinweis: Erste Bank

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