Markus Gull

Warum ist der Prince of Wales der Prince of Darkness? Oder: Warum dich Personas in die Irre führen.

Weißt du, woran du einen Vollidioten erkennst? Zum Beispiel daran, dass er dir sagt, er wisse wie man erfolgreiche Storys, Filme oder Werbung/PR/Marketingkommunikation macht. Die Wahrheit ist: das weiß niemand. Ich auch nicht. Der legendäre Oscar®-geadelte Hollywood-Autor William Goldman hat dazu den einzigen sinnvollen Satz gesagt: „Nobody knows anything.” Denn, wie sonst kannst du dir erklären, dass gefeierte Regisseure, Musik-Superstars und Werbe-Legenden gar nicht so selten spektakuläre Flops bauen? Weil sie’s zwischendurch verlernt haben? Sicher nicht. Aber: nobody knows anything.

Wir wollen alles wissen.

Vorhersagen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Wir würden aber trotzdem gerne alles wissen, auf Nummer sicher gehen, die eine Zauberformel kennen, damit wir die packendsten Geschichten und verführerischsten Kampagnen produzieren und unsere Zeit und vor allem unser Geld auf keinen Fall in den Sand setzen. Darum haben wir verschiedene Werkzeuge und Methoden erfunden, mit denen wir Sicherheit erzeugen. Oder zumindest die Illusion davon. Und wir vergessen darüber eines der mächtigsten Werkzeuge, das wir sowieso alle eingebaut haben: Intuition. Dazu ist Albert Einstein folgendes eingefallen: „Der intuitive Geist ist ein Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.” Der Haken ist: Intuition ist nur dann wirksam, wenn sie von Mut genährt wird. Und wir Menschen sind nun einmal eher tapfer als mutig. – Also doch wieder Werkzeuge und Methoden.

Wie ticken wir?

Am wichtigsten ist uns im Marketing und in der Kommunikation zuerst mal, dass wir wissen wie die Menschen ticken. Wenn wir dafür eine Methode haben, dann können wir die richtigen Botschaften abschicken, damit gefälligst alle tun, was wir wollen. Die unbewusste Wehrlosigkeit des Endverbrauchers als Handlungsmaxime, sozusagen. Und das ist unser Plan:

  1. Wir müssen in die Köpfe der Menschen hineinschauen. (Hinweis am Rande: Lasst uns lieber in ihre Herzen schauen, denn in den Köpfen finden wir nichts, was uns hilft.)
  2. Dann müssen wir die Menschen kategorisieren, zielgruppieren und targeten, damit wir ihnen dank perfekt ausgetüftelter Mediapläne möglichst punktgenau unser Zeug vor die Nase schieben können. Ob sie wollen oder nicht. (Hinweis am Rande: Sie wollen nicht.)
  3. Bingo!

Dass soziodemographische Zielgruppen im Has-been-Corner herumlungern wissen wir, seit wir zum ersten Mal einen Jaguar friedlich neben einer Ente am IKEA-Parkplatz ertappten. Das hat unsere Hoffnung auf den werbetechnisch abgezirkelten Homunculus allerdings nicht kleiner gemacht, im Gegenteil. Da geht noch was. Sinus-Milieus zum Beispiel, in denen Lebenswelten von potenziellen Kunden beschrieben werden, also im Grunde das, was sie tun, denken, oder wollen könnten, wo und wie sie leben, was sie gerne kaufen, welche Medien sie konsumieren und wie ihre so genannten Einstellungen sind. Das hilft ja schon einmal weiter.

Zwei Prinzen eine Persona.

Und dann haben wir Personas, die sich steigender Beliebtheit erfreuen und für alles verwendet werden, was auf zwei Beinen geht und früher Zielgruppe war. Damit drechseln wir Kunden-Profile und danach die passenden Kundenberater-Profile dazu. Oder im Recruting: Wie sehen ideale Personas potenzieller Mitarbeiter aus? Und auch in der Markenführung schießen Personas aus den PowerPoint-Slides wie Schwammerln aus dem feuchten Waldboden. Ich kann mich an kein Unternehmen erinnern, das ich in den letzten 24 Monaten beraten hätte, das nicht mit Personas gearbeitet hätte.

Die meisten fragte ich dieses: „Bitte um eure Einschätzung und Hilfe zu folgender Persona. Ein Mann in seinen so genannten besten Jahren, Vater einer Tochter, internationaler Marketingkommunikations-Experte, Medien-Freak, Unternehmer, Gründungsmitglied der Digitalen Boheme, pendelt zwischen Wien und New York, stets unter Zeitdruck, urbaner Typ, liebt PopArt, R’n’B, US-amerikanische Gegenwartsliteratur, Film und Theater, mag Design – vor allem Klassiker aus den 50er- & 60er-Jahren, liest viel, Apple-User, ernährungsbewusster Hedonist – LOHAS, Qualitäts-besessen … welches Auto fährt dieser Typ eurer Meinung nach?” Die Antworten auf diese Fragen kamen reichlich, und billig war keines der genannten Autos, klein auch nicht. Noch größer waren allerdings Staunen und Enttäuschung über die Wahrheit. Der Typ hat gar kein Auto und ist froh darüber! Glaube mir, ich weiß das, denn der Typ bin ich. Und so wie ich ticken viele, immer mehr. Die Einstellung zu Autos hat sich nämlich grundsätzlich geändert weil sich in den letzten Jahren Paradigmen und die Hierarchie der Werte massiv verändert haben. (Hinweis am Rande: Die so genannten besten Jahre sind nicht mal die zweitbesten.)

Noch einen? Mann, 1948, lebt in England, zweite Ehe, zwei Kinder, erfolgreich, reich, liebt Hunde und urlaubt gerne in den Alpen. Klare Persona, oder? Passt perfekt auf Prince Charles. Und auf Ozzy Osbourne. Wenn du den Unterschied zwischen dem Prince of Wales und dem Prince of Darkness klavierspielen kannst, dann machst du vielleicht Karriere als Pianist, aber definitiv keine Markenstory, die was taugt.

Methoden wie Personas sind als Hilfsmittel durchaus brauchbar, wenn es um Messbares geht – um Wer, Was, Wie, Wo und Wieviel. Aber nicht in der Entwicklung von Brandstorys. Warum? Genau deshalb: Bei Story geht’s ums Warum und nicht ums Was und Wie. Oder es geht erst sehr viel später mal ums Was und Wie, bei der Umsetzung, bei der Dramaturgie, bei der Inszenierung. Aber nicht bei der Entdeckung und der Entwicklung der Story.

Können wir also gar nichts Wissenschaftliches, nichts Erprobtes nützen, das uns hilft? Doch, Archetypen!

Was tun?

Archetypen unterscheiden sich von Personas und anderen Menschentypen-Erklärungsmodellen grundsätzlich dadurch, dass sie losgelöst von konkreten Lebensumständen wie Alter, Geschlecht, Beruf, Bildung und gesellschaftlichem Status den Charakter der Person beschreiben, also auf Sehnsüchte und Werte abzielen. Und nur dadurch bekommen wir einen brauchbaren Zugang für eine Verbindung mit unserer Marke. Denn auch eine Markenstory entwickelt sich aus dem Warum, aus den Sehnsüchten und Werten und wird dann später im Wie und Was – am besten erlebbar – umgesetzt.

Archetypen werden zum Beispiel in der analytischen Psychologie genutzt, wie auch in der Literatur und der darstellenden Kunst – überall dort, wo es gilt, an die Wurzel des Menschen-Verstehens zu gelangen. Der Schweizer Psychiater C. G. Jung, Begründer der analytischen Psychologie, hat dazu viel Wissen geschaffen. Wenn dich das interessiert, und das sollte es, dann besorg dir zum Einstieg dieses Buch. Aktueller und auch wirtschafst-orientierter als Jung hat die amerikanische Psychologin Carol S. Pearson dazu eine Menge Bücher verfasst, eines voller sehr anwendbarem Wissen lege ich dir ans Herz, mehr dazu gibt’s hier.

Im von mir entwickelten Hero Branding®-Toolkit haben wir knappe 100 Archetypen zur Verfügung. Häufig wird aber mit einem Basis-Set von zwölf Archetypen gearbeitet, mit denen man in sehr vielen Fällen das Auslangen findet. Diese zwölf Haupttypen sind: Der Nährende, Der König, Der Krieger, Der Liebende, Der Magier, Der Narr, Der Schöpfer, Der Entdecker, Der Unschuldige, Der Waise, Der Weise, Der Zerstörer. Alle gibt es naturgemäß männlich oder weiblich. Und: Genauso wie du für deine Kunden einen Archetypus entwickelst, musst du es auch für deine Marke tun. Denn unser Modell der Brandstory-Kommunikation bedeutet ja, dass Marke und Publikum im Gespräch sind, also zwei Persönlichkeiten.

Archetypen leben überall.

Neben der menschlichen Genauigkeit hat die Arbeit mit Archetypen einen weiteren Vorteil. Ein Archetyp lebt unabhängig von allen soziodemographischen Parametern. Einen Magier findest du in allen Schichten, es gibt junge und alte Königinnen, Suchende findest du im kleinsten Dorf und in jeder Metropole, Waisen haben Familie und große oder kleine Einkommen … Eine Archetypen-basierte Brandstory gibt dir also die unbezahlbare Möglichkeit, den Kern deiner Story, also ihre Wertewelt in unterschiedliche Lebenswelten zu interpretieren und damit ein wesentlich breiteres Publikum anzusprechen als du es bisher konntest. Das ist übrigens nicht nur eine Gelegenheit, sondern eine unabdingbare Notwendigkeit, zumal eine wirksame Brandstory immer zuerst in deinem Unternehmen aktiviert werden muss, damit sie auch bei deinen anderen Publikumsgruppen funktioniert. Und deine Mitarbeiter haben nun mal eine grundsätzlich andere Perspektive als deine Kunden. Zu diesem Thema hat kürzlich ein Typ einen ziemlich interessanten Artikel geschrieben. Den findest du hier.

Vier gute Tipps.

Jeder Mensch trägt prinzipiell alle Eigenschaften in sich, wird aber von einigen wenigen tatsächlich geprägt und getrieben. Meine Erfahrung hat mir bei der Verwendung von Archetypen folgendes gezeigt:

  1. Beginne ausnahmsweise mit der Entwicklung des Marken-Archetypus und nicht mit dem des Publikums.
  2. Bei der Entdeckung des Archetypus deines Publikums entdeckst du häufig eine weitere Facette am Marken-Archetypus, der die Sehnsucht deines Publikums nährt. Kombinierte Marken-Archetypen sind dann durchaus möglich, sinnvoll und spannend – z.B. Der nährende Magier.
  3. Ein und derselbe Mensch kann im Gespräch mit unterschiedlichen Produkt-Kategorien auch unterschiedlichen archetypischen Modellen entsprechen. Zum Beispiel kann ein Entdecker-Typus durchaus in Sachen Ernährung als der Unschuldige beschrieben werden.
  4. Fast ausnahmslos bilden die jeweiligen Marken- und Publikums-Archetypen Gegenpol-Paare, was logisch ist. Die Marke nährt ja eine Sehnsucht des Publikums.

Wenn du die Facetten deiner archetypischen Diamanten geschliffen hast, dann ist eine Weiterführung in ein Persona-Modell oder die Eroberung von Sinus-Milieus durchaus sinnvoll und nützlich. Die konkreten Lebenswelten sagen ja viel aus – ganz konkret über Einkaufsverhalten, Mobilität oder die Mediennutzung, also über Orte, an denen du mit deinem Publikum in Kontakt kommen kannst.

Wie immer gelten auch bei der Arbeit mit Archetypen die beiden Grundsätze: „Tools, not Rules!“ und „Nobody knows anything!”. Archetypen sind ein exzellentes Hilfsmittel, das sehr mächtig und wirkungsstark arbeitet, aber kein Allheilmittel, kein Zaubertrick und schon gar kein einfaches Malen-nach-Zahlen-Erfolgsrezept. Selber denken macht schlau!

Egal ob Weltkonzern, KMU oder EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat ein Image, irgendeine Story, hat einen Character, steht für etwas, und sei es für nichts. Wenn du also nicht nur über den Preis reden, sondern respektvoll mit deinem Publikum ins Gespräch kommen willst, dann entdecke die archetypische Magnetkraft deiner Marke, die die archetypischen Sehnsüchte deines Publikums anspricht. Das gilt für B2C und für B2B gleichermaßen, denn in Tat und Wahrheit geht es immer um H2H – Human to Human, Mensch zu Mensch. Jedes Business ist nun mal lokal und auch persönlich.

Allen, die sagen: „Bei meiner Marke geht das nicht!” sei noch einmal in Erinnerung gerufen was William Goldman sagte „Nobody knows anything!”. Und natürlich der Schlachtruf meiner Großmutter, der alten Story Dudette, die zwar auch nicht alles wusste, aber eines unter Garantie: „No Story. No Glory.”

 

Bildhinweis Titelbild:
Prinz Charles  > www.la-moncloa.es > Lizenz
Ozzy Osbourne > Wikimedia

Jetzt teilen

Newsletter Abo