Markus Gull

Warum Deine Story einen starken Gegner braucht und wie Du den perfekten findest.

Kürzlich saß ich mit einem meiner Klienten in einem Workshop, wir diskutierten die Struktur seiner Brandstory. Es dauerte wie immer nicht lange, bis wir bei meiner Frage „Wer ist Dein Gegner?“ und dem daraus entspringenden Dialog ankamen: „Ich habe keine Gegner.“ – „Ohne Gegner gibt es keinen Konflikt, und ohne Konflikt gibt es keine Story.“ – „Aber wir sind bei Weitem Marktführer, ich habe keine Konkurrenz.“ – „Dein Mitbewerb kann sowieso niemals Dein Gegner sein.“ – „Warum nicht?“ – „Unter anderem deshalb, weil du auf keinen Fall der Held Deiner Story sein darfst.“ – „Spinnst Du jetzt?“

Diesen Dialog führe ich immer wieder. Er spiegelt drei zentrale Fragen wider, die sich viele Unternehmen, Marken und Organisation häufig missverständlich und falsch beantworten:

    1. Wer ist der Held der Geschichte?
    2. Welche Rolle spielt die Marke?
    3. Wer ist der Gegner?

 

zu faul zum weiterlesen? Dann hör mir zu:

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!

 

Wer ist der Held der Geschichte?

Im althergebrachten Verständnis von Brandstory ist die Marke der Held, keine Frage. Das führt(e) allerdings unweigerlich zu der heute üblichen, nervigen Störenfried-Display-Anschrei-Werbung (aka Adverstalking), die ständig von sich erzählt, durchaus lustig/spannend/emotional sein kann, unterm Strich allerdings nichts anderes erzeugt als Echo und Lärm vor der Niederlage.

Das Wesen meiner Markenführungsmethode Hero Branding® und deren zentrale Achse ist der radikale Perspektivenwechsel, der uns das Publikum einer Marke als Helden sehen lässt. Deshalb sagen wir Hero Branding®– Marken machen Helden.

Dieser Perspektive ordnen wir alles, was wir tun, unter, weil wir einen Satz von John Steinbeck in wacher Erinnerung halten: „If a story is not about the hearer he will not listen … A great lasting story is about everyone or it will not last.“

Der Held einer Geschichte muss sich verändern bzw. es muss sich etwas für ihn verändern. Ohne diese Verwandlung gibt es keine Geschichte. Oft ist der Held sogar die einzige Figur in einer Geschichte, die sich ändert.

In der Geschichte einer Marke ist nun der Kunde derjenige, für den sich etwas verändert, weil er Nutzen durch das Produkt oder die Dienstleistung gewinnt, eine Einsicht erhält, etwas lernt, zusätzliches Prestige erlangt, kurzum: in irgendeiner Form seinen Status verbessert.

Ein besonderes Wesensmerkmal einer Marke ist, dass sie sich nicht verändert, sondern konstant und konsistent das verkörpert, was sich die Menschen von ihr erwarten. Oder dass sie sich maximal in Minischritten den Entwicklungen der Zeit anpasst – und das über einen langen Zeitraum hinweg. Schon allein deshalb kann Deine Marke nicht der Held der Story sein.

Falls sich eine Marke tatsächlich massiv verändert, dann spricht man von einem Relaunch. Aber selbst dann betrifft die Veränderung nur in ganz, ganz wenigen Ausnahmefällen die Markenwerte, sondern meistens den Auftritt der Marke.

 

Gegner

 

Welche Funktion hat die Marke?

Die Marke ist die Mentorin des Helden. Mentoren begleiten Helden mit Rat und Tat auf ihrer Reise, geben Anstöße und Hinweise, helfen beim Verstehen, schärfen den Blick, verändern die Perspektive, lösen mitunter sogar den Wandel aus.

In fiktionalen Geschichten sind Mentoren oft Lehrer oder Weise, wie Obi-Wan Kenobi, Gandalf oder Merlin. Eine Marke darf diese Rolle in aller Regel nicht einnehmen, sondern muss dem Helden auf Augenhöhe begegnen, nicht implizit von oben herab. Marken als Mentorinnen sind wie Coaches, die Hilfe zur Selbsthilfe geben.

Heldin und Mentorin haben meist dieselben Werte, dieselben Ziele, dasselbe Anliegen, dieselbe Sehnsucht nach Veränderung. Und sie haben denselben Gegner.

Der Gegner ist bei einer Marke niemals das Problem, das es zu lösen gilt, denn das löst das Produkt. Und es ist vor allem niemals die Konkurrenz.

 

Wer ist der Gegner?

Ein Gegner darf sich nie verändern. Der Gegenspieler von James Bond bleibt böse, genauso wie die Gegner von Super-, Spider- und Batman böse bleiben. Harry Potter lernt und reift, Voldemort bleibt Voldemort. Der Weiße Hai ist auch im vierten Teil noch nicht Veganer, die Außerirdischen in „Independence Day“ verändern sich genauso wenig wie die Eiszeit in „The Day After Tomorrow“.

Wenn sich der Antagonist verändert, ist er unter Umständen – und im schlimmsten Fall für die Story – nämlich selbst der Protagonist.
Mehr dazu findest Du in meinem Blogartikel „Die Wirkung von Storytelling – jenseits von Gut und Böse.“

Das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb Deine Konkurrenz niemals der Gegner in Deiner Story sein kann. Deine Konkurrenz verändert sich nämlich ständig völlig unvorhersehbar. Sie wird stärker oder schwächer, sie relauncht, imitiert Dich, neue Mitbewerber kommen dazu … Würde Deine Brandstory die Konkurrenz als Antagonisten sehen, dann würde sich Deine Story also ständig verändern, Deine Marke wäre unführbar, oder Du würdest ur-plötzlich sogar Deine Story verlieren, wenn Dein letzter Konkurrent aufgibt und vom Markt verschwindet.

Deine Konkurrenz kann durchaus Teil dessen sein, was man antagonistische Kräfte nennt, diese Kräfte repräsentieren oder spiegeln, aber die Konkurrenz ist niemals Dein Gegner in Deiner Story. Die antagonistische Kräfte sind Dein wahrer Gegner.

Nehmen wir „Rocky“ als Beispiel: Apollo Creed ist nicht Rockys Gegner. Er ist sein Rivale – Rivalen wollen einander besiegen. Aber man kann seinen Rivalen besiegen und dennoch nicht gewonnen haben. Oder: Man kann seinen Rivalen nicht besiegen und dennoch gewinnen. So wie Rocky.

Der Weltmeisterschaftskampf endet unentschieden, aber Rocky ist der Gewinner, weil er den wahren Gegner besiegte: die antagonistische Kraft – seinen Minderwertigkeitskomplex. Auf seinem Siegergurt steht „Du bist es wert, geliebt zu werden!“ – und deshalb galt sein erlösender Triumphschrei „Adriaaaaaaan!“ seiner Angebeteten, der er sich nun endlich selbst für würdig befand.

Rocky ist keine Story übers Boxen, sondern eine Story über Hoffnung. Über die Hoffnung darauf, dass selbst ein Underdog zum Champ werden kann, wenn er die Chance bekommt. Sein wahrer Gegner, die antagonistische Kraft, sitzt in Rocky selbst, personifiziert wird sie durch Apollo Creed, den Mitbewerb. Den Sieg widmet er „Adriaaaaaaan!“.

Kürzlich zappte ich ins Casting von „Deutschland sucht den Superstar“. Schau einmal rein, und Du wirst etwas entdecken: Gute 90 Prozent dieser Bewerberstorys sind ebenfalls Rocky-Geschichten. „DSDS“ handelt nämlich nicht von Musik, nicht einmal dann, wenn die Freaks wirklich singen könnten. Sie handelt von der Hoffnung der Kandidaten auf die Chance, als Underdogs ganz nach oben zu kommen – das ist ihre mit ihrem Publikum geteilte gemeinsame Story.

 

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Große Marken brauchen große Gegner.

Wenn Du an Deiner Brandstory arbeitest, dann wähle Deinen Gegner mit Sorgfalt aus, denn er ist erfolgsentscheidend für Dich. Er muss deshalb groß und mächtig sein und universell, denn je größer der Gegner, desto größer der siegreiche Held.

Apple erkor einst den Kleingeist, die Besserwisserei und die Mutlosigkeit – das große Gehtnicht – zum Gegner. Dann stellte sich Apple als Mentor an die Seite der Crazy Ones, an die Seite derer, die die Welt verändern wollen, sagte „Think different!“ und hielt die passenden PC für sie bereit.

Die US-Outdoor-Marke REI hat sich unter dem Claim #OptOutside dem Kampf gegen das Stubenhockertum verschrieben und sich zum Ziel gesetzt, die Menschen zu mehr Aktivitäten im Freien zu gewinnen. Im Jahr 2015 knöpfte sich REI konkret den Shoppingwahn am Black Friday vor und schließt seit damals jedes Jahr die Geschäfte an diesem wichtigsten Shoppingtag des US-amerikanischen Shoppingtraums mit der Empfehlung, statt zu shoppen, die Zeit lieber aktiv draußen zu verbringen. Und das mit phänomenalem Erfolg für die Marke, ihr Publikum, ihre gemeinsame Story und zu guter Letzt auch für die Umsatzkurve trotz geschlossenem Supereinkaufsfreitag. Hier gibt’s das Case-Video dazu, hier einen Artikel über die Erfolgsgeschichte.

Nike hat sich einen Gegner ausgesucht, der unter verschiedenen Bezeichnungen in Erscheinung tritt: Faulheit, der „innere Schweinehund“, Selbstzweifel … Als Mentor stellt sich Nike an die Seite seiner – zukünftigen – Helden, sagt „Just do it“ und hält die passende Ausrüstung für sie bereit.

Vermutlich flüsterte Merlin seinem Schützling Arthur ebenfalls ein aufmunterndes „Just do it“ ins Ohr und zeigte auf den Stein mit dem Schwert. Arthur zog Excalibur aus dem Stein und wurde zum König.

Jetzt wissen wir auch, welche Funktion Dein Produkt in der Geschichte hat: Es ist das Schwert Excalibur. Produkt und Marke sind nämlich zwei verschieden Dinge, die ebenso oft verwechselt werden wie Brandstory und Werbekampagne oder Marke und Logo. Aber dazu an anderer Stelle mehr.

Jede Story kämpft für etwas Großes.

Oft werde ich gefragt, worum es denn beim Storytelling wirklich geht und wieso ich stets vor dem Storytelling-Hype warne. Die Antwort ist einfach: Der Storytelling-Hype erzeugt einen Buzzword-Wirbel aus Missverständnissen und zerstört diese wunderbare Methode, weil Storytelling mit Storyfying verwechselt wird und Handlung mit Story. Über alles wird der Begriff Storytelling gestülpt, was Story wirklich bedeutet, weiß kaum jemand.

Also, Storyfying bedeutet: Du verpackst Deine logischen Argumente in eine emotionale, für Dein Publikum relevante Story.

Storytelling bedeutet: Du entwickelst rund um Deine Werte eine gute emotionale, für Dein Publikum relevante Erzählung, eine Perspektive, ein Narrativ.

Storysharing bedeutet: Du findest – archaische – Werte, die Du mit Deinem Publikum teilst, für die Ihr gemeinsam kämpft, die Ihr verteidigt und für die Ihr andere gewinnt. Dein Publikum nützt die gemeinsame Story, macht die Story der Marke zu ihrer eigenen, um damit über sich selbst zu erzählen und über sich selbst zu lernen. Ihr gemeinsam seid somit Teil von etwas Größerem.

Das, und nur das, ist der wirkungsvolle Kraftkern von Story. Ersetze das Wort „Story“ durch Purpose, Meaning, Sinn, Mission oder Werte, und Du weißt, wo der Hammer hängt.

Alles andere ist nötiges Handwerk, je besser beherrscht, desto besser in der Wirkung, aber es ist nicht das magnetische Momentum, das Resonanz erzeugt. Gut erzählte Geschichten sind nötig, gemeinsame Storys sind überlebenswichtig – für uns Menschen gleichermaßen wie für Marken. Jede Story braucht ein Narrativ, aber nicht jedes Narrativ hat eine Story. Leider.

Nur durch eine Story wird ein Produkt zu einer Marke, die diese Bezeichnung verdient. Eine Marke ist mehr als ein Logo und gut gemachte Marketingkommunikation.

Produkte werden gebraucht, aber Marken werden geliebt. Produkte werden in Fabriken erzeugt, Marken wachsen im Herz. Produkte stützen sich auf Fakten, an manche davon wird man sich sogar erinnern. Marken hingegen werden in einer Story lebendig, die man nicht mehr vergisst.

Egal ob Weltkonzern, ob KMU (kleine und mittlere Unternehmen) oder heldenhafte Einzelkämpfer als EPU (Ein-Personen-Unternehmen) – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat und braucht mindestens einen archaischen Wert, für den es sich zu kämpfen lohnt, die passende antagonistische Kraft und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. Wenn Du keinen magnetischen Wert als lebendiges Thema hast, hast Du keine Story und nur noch einen einzigen möglichen Gegner: den Preis. Wenn der besiegt ist, ist alles verloren. Unter anderem Dein Unternehmen. Und dann hilft Dir auch keine „Adriaaaaaaan!“.

Allen, die also sagen „Für mich und meine Marke gilt das nicht!“, seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, Apollo Creed auf den seidenen Bademantel stickte: „No Story. No Glory.“

 

 

Photo by LexScope on Unsplash

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